Eigentlich habe ich Bolaño nur in die Finger bekommen, weil ich vor einigen Monaten einen Artikel der SZ über den, wenn auch äußerst übersichtlichen verlegerischen Mut in Deutschland gelesen habe. Der eine betraf David Foster Wallaces „Unendlicher Spass“ und der andere Roberto Bolaños „2666“.
Dass mir Bolaño zuerst zufiel, war reiner Zufall. Dass es mich interessierte, dagegen nicht. Ein Werk von mehr als 1000 Seiten von einem chilenischen Autor, der mittlerweile verstorben (an Hepatitis!), Marquez und überhaupt alle chilenischen Blumen der Literatur nicht mochte (ich dagegen sehr) und dessen «infrarealistische Manifest» seine Anhänger weniger dazu verpflichtet, ästhetischen Prinzipien zu folgen, als zu reisen und sich kompromisslos der «Infrarealität» zu stellen: Alkoholexzesse in Unterweltsspelunken, sexuelle Eskapaden auf dünner Matratze, klamme Tagesanbrüche ohne Aussicht auf ein anständiges Frühstück. Und die Bereitschaft, notfalls für die Dichtung zu sterben.“ Sandro Benini in Das Magazin
Die erste Frage, die mich schon während der Rezeption beschäftigte, war:
Wer schreibt solche Bücher? Die Antwort kann vielleicht so ausfallen: Bolaño wird 1953 in Chile geboren. Seine Mutter arbeitet als Lehrerin, sein Vater verdingt sich als Spediteur und Boxer. Als Bolaño 14 Jahre alt war, reist die Familie nach Mexiko aus. Dort gilt Bolaño als verschroben, weil er jede freie Minute lesend in der öffentlichen Bibliothek verbringt.
Ewas über 20 geht Bolaño zurück nach Chile, reist kreuz und quer durch Lateinamerika und legt sich das zu, was man praktische Reife nennen könnte. Als Freigeist entgeht er nur knapp den Henkern von Pinochet, der sich mittlerweile an die Macht geputscht hat.
Bolaño kehrt zurück nach Mexiko. Dort gründet er die „Infrarealisten“ und formuliert das oben schon erwähnte „Infrarealistische Manifest». Das ist die eine Seite.
Die andere Seite ist die eines Menschen, der sein Handwerk wie kein anderer beherrscht, dessen Erfahrungsschatz, sowohl den literarischen als auch den, den man langläufig Erfahrungen nennt, also Lebenserfahrungen, sein größter Fundus ist. Der intelligent, wissend, protokollierend, niemals langweilend, manchmal schaudernd uns das schenkt, was wir am meisten ersehnen: gute Literatur!
Auch wenn der nächste Urlaub noch nicht in Sicht ist, es sei allen ans Herz gelegt, dieses Buch zu lesen. Es ist Geheimwissen und in diesem Sinne eine Offenbarung. Weiterlesen