Nun, das mag vielleicht etwas übertrieben sein, denn das Buchjahr 2018 hat ja gerade erst angefangen, da werden wir also noch vieles zu lesen bekommen. Aber ich bin mir sicher, dass Anne Reinecke mit ihrem Debüt „Leinsee“ mindestens auf der Best of Liste auftauchen wird!
Liebesgeschichte? Ja, nicht vordergründig, aber das ist das Einnehmende an dieser Geschichte. Karl, ein junger Berliner Künstler, gerade mal 26 Jahre alt, erfährt von dem Suizid des Vaters, während die Mutter auf dem Operationstisch liegt. Auch bei ihr geht es um Leben oder Tod.
Zu seinen Eltern hat er seit einigen Jahren keinen Kontakt mehr. Er macht sich auf den Weg nach Leinsee, seiner „Heimat“, die für ihn nie etwas Heimeliges hatte.
Zwischen Schmerz, Wut, Trauer und Sehnsucht nach der Liebe der Mutter tritt ein kleines Mädchen auf die Bühne: Tanja. Als sie das erste Mal im Garten auftaucht, ist sie vielleicht fünf Jahre alt. Die Beiden werden Freunde. Nicht so, wie wir uns das ausmalen würden, sondern anders – auf einer „spirituellen“ Ebene. Die Kleine wird für Karl zum Anker, zum Lichtblick, zur Hoffnung.
Der Leser begleitet Karl über das folgende Jahrzent. Tanja wird indes erwachsen und die Beiden werden ein Paar. Der Weg dorthin ist mehr als ungewöhnlich. Vor allem sprachlich ein Highlight für mich:
„Und da schüttelte Tanja schon den Kopf, so dass nasse dunkle Haare und glitzernde Wassertropfen in alle Richtungen flogen. Auch das sah irgendwie langsam aus und irreal.
Wer jemals einen James-Bond-Film gesehen hat, darf so etwas nicht machen, dachte Karl Aber vielleicht war Tanja dafür ja zu jung, vielleicht glaubte sie ja, das hier sei neu und ihre eigenen Idee. Vieleleicht war das eine Entschuldigung.
Aber trotzdem: scheiß James-Bond-Zeitlupe. Scheiß Wasser. Alles glänzte.
… da löste sich schon die nächste Wasserperle, seitlich an Tanjas Hüfte, und rollte zur Mitte des Oberschenkels. Dort verschmolz sie mit einem zweiten Tropfen, der schon auf sie gewartet hatte. Zusammen kullerten sie als dicke, runde Murmel bis zum Knie, wo sie ihre Bewegung bremsten und hängenblieben. Wieder dauerte es viel zu lange.
Karl zählte bis sieben.
Als der Tropfen sich endlich löste, schien er die Verzögerung aufholen zu wollen. Er floss auf einmal schnell, viel zu schnell, viel zu unspektakulär Tanjas Schienbein herab und löste sich mir nichts, dir nichts, einfach so auf der Wasseroberfläche auf.
Karl ballte die Fäuste. Er hatte keine Ahnung, warum Tanjas Anblick ihn so wütend machte.“
Ich habe diese Stelle ausgewählt, weil sie für mich exemplarisch ist für die Sprachmelodie, die Farbe, die Beobachtungsgabe der Autorin, dieses Hingucken – wie funktioniert so etwas, wenn es der Richtige sieht?
Das Lesen hat bei mir nicht nur Bilder erzeugt, sondern auch Gerüche. Selbst das Flirren über dem See, der Lufthauch, der vom Ufer rüberwehte, es war, als spürte ich ihn. Alles an diesem Buch ist luftig, sommerlich, nach Kiefern und Fichten duftend, nach Wasser, Holz und Basilikum.
Lest es, ihr werdet begeistert sein.