Bereits 2004 bewirbt sich der Vorarlberger Arno Geiger mit seinem vierten Roman: Es geht uns gut um den Ingeborg-Bachmann-Preis. Er geht leer aus. Erst ein Jahr später erhält Geiger, Literaturwissenschaftler und Autor, den erstmals ausgelobten Deutschen Buchpreis 2005. Seitdem spaltet der Roman die Gemüter. Das Feuilleton ist verzückt, der normale Leser gelangweilt.
Worum geht’s? Der Klappentext sagt:
Philipp Erlach hat das Haus seiner Großmutter in der Wiener Vorstadt geerbt, und die Familiengeschichte, von der er definitiv nichts wissen will, sitzt ihm nun im Nacken. Arno Geiger erzählt, als sei sie gegenwärtig: Von Alma und Richard, die 1938 gerade Ingrid bekommen und nichts mit den Nazis zu tun haben wollen. Vom fünfzehnjährigen Peter, der 1945 mit den letzten Hitlerjungen durch die zerbombten Straßen läuft. Von Ingrid, die mit dem Studenten Peter eine eigene Familie gründen will, und von Philipp, dem Sohn der beiden.
Und darum geht es wirklich:
Eigentlich ist es so: die Großeltern erzählen den Kindern vom ihrem Leben, und die wiederum erzählen ihren Kindern von dem, was die Großeltern erzählt haben oder aber, die Enkel haben Glück, und hören die Geschichten noch selbst, weil alle noch leben. In der deutschen Geschichte, und, wie wir jetzt erfahren auch in der österreichischen, ist das anders. Hier erzählt keiner mehr keinem was. (Wir wissen, warum … kollektive Schuld und so.) Die Erzählung im Sinne der mündlichen Überlieferung, der Sage, wird damit unterbrochen. Ein ganz erhebliches und schweres Versäumnis in punkto Identität und Geschichte.
Deshalb schickt Geiger Philipp Erlach, den 36-jährigen Nichtsnutz, auch auf den Boden seiner Großmutter und stellt ihn dort symbolisch vor den Nachlass, vor allem dem geistigen, seiner Familie (seines Landes, seiner Geschichte). Und auch symbolisch – kann Erlach damit nichts anfangen.
Als letztes Glied in der Kette (Großeltern, Eltern, Kind und Enkel) steht er als exemplarisches Beispiel für den Wandel der Zeit. Zu fragen bleibt, ob sein Unwohlsein, seine Unentschlossenheit, seine Zweifel, seine Schwäche, seine fast aggressive Untätigkeit Wirkungen auf diese Ursachen (Identitätsverlust, Geschichtsbruch) sind. Wenn ja, na dann: Gute Nacht, Marie. Andererseits: Wenn’s nur das ist, dass da einer rumlungert, und nichts mit sich anzufangen weiß, keine Familie gründet, über sich und immer wieder über sich nachdenkt und selbst für Dummheiten und Größenwahnsinn viel zu faul ist – dann geht’s uns doch eigentlich wirklich gut …
(Dieser Text wurde ebenfalls veröffentlich auf dem Buchblog von germanblogs)